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Im "Silly Walk" in die Filmbranche | Cinema Next - Sichtweisen

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Kino-Tränen

Wie ich in die Filmbranche gekommen bin, ist tatsächlich eine gute Frage. Es ist für mich aber auch nicht mehr verwunderlich wie logisch, dass ich da gelandet bin. Gleich vorweg möchte ich erwähnen, dass das, was ich mache – Avantgarde bzw. Experimentalfilm – hierzulande selbstverständlich, mal mehr und dann auch wieder weniger, aber doch bereitwillig zur ‘Branche’ gezählt wird. Im Vergleich mit anderen Ländern ist das durchaus etwas Besonderes und beruht gewiss auf der starken Geschichte und bis heute anhaltenden exquisiten Qualität des österreichischen Avantgardefilms! Wenn Österreich Filmgeschichte geschrieben hat, dann ganz sicher in diesem Bereich. Dieser Hintergrund war und ist auch für mich ein ganz wesentlicher Einfluss. ‘And now for something completely different.’

 

Ich fang am besten mal ganz vorne an. Wie war das nun? Ich bin am Land aufgewachsen – ohne wehleidigem Understatement würde ich sagen: unter bescheidenen Verhältnissen. Das alltägliche Leben war geprägt vom bäuerlichen Rhythmus. Die Sommer waren durchzogen von Heueinbringen und Getreideernte, die Winter wurden zur Waldarbeit und zum Eisstockschießen genutzt. Das klingt durch retrospektive Verklärung heute wahrscheinlich idyllischer als es tatsächlich war. Es war auf jeden Fall ein Umfeld, das man nicht unbedingt als bildungsnah und kulturell aufge- und erschlossen und schon gar nicht als avantgardistisch bezeichnen kann. Avantgardistisch war ein Fremdwort, wie mir vieles als Kind und Jugendlicher fremd war, wozu man anderswo vielleicht Zugang gehabt hätte.

 

So bestehen meine ersten Eindrücke von bewegten Bildern aus Erinnerungen an einen Schwarzweiß-Röhrenfernseher mit zwei Sendern, der immer wieder mal vom schwer übergewichtigen Fernsehtechniker (den wir in Ermangelung von Pfefferminzblättchen allerdings nie zum Platzen bringen konnten) repariert werden musste. Man konnte die Dinge ja noch reparieren und ‘richten lassen’. Es war aber auch manchmal der Fall, dass die Mattscheibe aufgrund eines Defektes länger dunkel blieb. So passierte es auch, dass ich nach einer längeren Defektphase als angehender Teenager versucht habe, die entgangene Fernsehzeit aufzuholen, und bis zum Sendeschluss mit Testbild und Bundeshymne schaute. Dabei ist mir irgendwann spät in der Nacht die unkonventionelle und anarchische Fernsehshow Monty Python’s Flying Circus untergekommen. Das war prickelnd! Vielleicht habe ich damals zum ersten Mal gefühlt, dass es andere, mir noch nicht bekannte Wege gibt, die es gelten würde zu beschreiten. Beziehungsweise, dass es möglich ist, einen Weg mit völlig neuer Gangart zu beschreiten. Noch heute ist ‘das Ministerium für alberne Gangarten’ aus einem Monty-Pyhton-Sketch für mich eine der wichtigsten Institutionen und der von John Cleese dargebotene ‘Silly Walk’ wird immer eine der grandiosesten Performances aller Zeiten bleiben.

 

Nun gut, da war dieser Funke, aber dieser reichte noch nicht für eine Initialzündung. Nachdem ich aufgrund meiner Sozialisierung keine Ahnung haben konnte, welche Gangarten abseits einer konventionellen und vorgezeichneten Lebensgestaltung möglich sein könnten, musste ich zuerst noch die für mich harte Erfahrung einer Lehre zum Industriekaufmann machen. Wenn diese Erfahrung etwas Gutes haben soll, dann ist es das Wissen, dass ich in eine derartige Arbeits- und Lebenssituation nie mehr zurückkehren will. In den immer wieder beschwerlichen und unsicheren Lebensstrukturen als Filmemacher bleibt dieses Erlebnis eine anhaltende Energie, die mein filmkünstlerisches Arbeiten nachhaltig antreibt und weiter bringt.

 

Bereits während der Lehrzeit habe ich deshalb Möglichkeiten gesucht mich auszudrücken. Ich habe damals viel gezeichnet. Noch viele Jahre später manifestierte sich in Form von mehr oder weniger gelungenen lyrischen Versuchen eine Art Abrechnung mit Sozialisierung und Jugend am Land. In diesen ‘Zerlöschungen’, so wurden sie von mir betitelt, liegt ein widersprüchliches Verhältnis. Das Leben auf dem Land an sich ist etwas das ich schätze, sogar brauche, aber mit den dort prädestinierten Lebenskonzepten kann ich wenig anfangen. Da diese textlichen Gefüge, welche zudem mit grafischen Elementen kombiniert wurden, auch eine Auseinandersetzung mit bewegten Bildern reflektieren, wage ich es hier, ein paar Zeilen daraus anzuführen:

 

ein frühzeitig erworbenes Leistungsdefizit
verurteilt zur Spionage

 

selbsttätige Waschmittel
zerfressen alle unerwünschten Abseitscodes
Anticode und der Wunsch nach Nichtwahrnehmung
produzieren eigene Geheimdienste

 

 Abgründe liegen flach auf dem Boden
Wasserfälle ertrinken im Meer

 

Spiegelbild einer tauben Linse
kein Gedächtnis
keine Existenz 

 

nur selten Durchsicht
durch Auge, Gehirn und Hinterkopf 

 

es wird vorausgesetzt
eine Abbildung entspricht einer Wahl
einem lebensgroßen Streifen Zelluloid

 

Man mag diese Wortkonstellationen gelungen finden oder nicht, das spielt keine so große Rolle. Sie stehen für mich vor allem auch für die Erkenntnis, dass Film Lyrik sein kann, dass Film keiner gewohnten Erzählung zu folgen hat, dass Film abstrakt sein kann und vielleicht dadurch noch viel näher an der Realität des Lebens. Diese Erkenntnis konnte ich nach meiner Lehre als Student an der Kunstuni in Linz erlangen. Das war sie nun die Initialzündung!

 

Als künstlerisches ‘Nackerpatzerl’ habe ich auf der Suche nach unkonventionellen Ausdrucksmöglichkeiten einfach die Aufnahmeprüfung an der Kunstuni in Linz (damals noch Hochschule) gemacht und wurde aufgenommen. Die Aufnahmekommission hatte sichtlich Spaß an meiner Unbedarftheit und hat zu meinem Glück mir als unbeschriebenes Blatt etwas zugetraut. Die Möglichkeit, mit Stipendium, Erspartem und Nebensjobs an der Kunstuni zu studieren war dann ausschlaggebend, dass ich mehr und mehr meine Richtung zum Avantgardefilm gefunden habe. Dort hatte ich die Möglichkeit frei und eigenständig zu arbeiten und mir aus dem Lehrangebot herauszuholen was mir wichtig war. Dort haben sich die ersten Kontakte zur österreichischen Avantgarde- und Experimentalfilmszene ergeben. Hier kam dann auch sehr bald die Verleihstruktur von sixpackfilm ins Spiel. Dass man mit Avantgardefilm nicht reich werden kann, war mir bald klar, doch die großartige und wichtige Arbeit von sixpackfilm verhalf meinen filmischen Arbeiten zu einer Wahrnehmung im internationalen Festivalzirkus, welche ich selbst niemals hätte generieren können.

 

Heute, und das auch schon seit zwölf Jahren, unterrichte ich selbst an dieser Kunstausbildungsstätte und ich finde die Möglichkeiten und die Qualität dieser Universität in der ‘Provinz’ nach wie vor sehr gut und besonders. Die ersten Avantgardefilme der Filmgeschichte wurden von bildenden Künstler*innen geschaffen. Insofern ist es richtig und stimmig, dass ein Angebot in der Lehre in diesem Bereich des Films auch in Kunstuniversitäten angesiedelt ist. Allerdings glaube ich auch, dass es wichtig ist, diesem Bereich des Filmschaffens in klassischen Filmausbildungszusammenhängen eine viel stärkere Präsenz zu geben. Der Avantgardefilm kann für jedes Filmgenre ein fruchtbarer Impulsgeber sein. Die heutzutage viel besungene Diversität muss auch im Filmbereich nicht nur erhalten bleiben, sie muss weiter ausgebaut werden. Es ist wichtig und eine Bereicherung, dass die unterschiedlichsten Filmgenres gleichwertig nebeneinanderstehen können. Die heimischen Filmfestivals sind dabei ein essenzieller Motor. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag dazu, dass die unterschiedlichsten Erscheinungsformen des Films auf gleicher Augenhöhe präsent sein können.

 

Ich glaube, dass eine derartige Diversität in filmischer Form und Inhalt auch eine entscheidende Förderung für junge Filmschaffende darstellt. Diese Art von Förderung müssen junge Filmemacher*innen auch immer wieder einfordern. Das bewegte Bild hat mittlerweile ganz selbstverständlich in den Ausstellungskontext Einzug gefunden. Es darf aber nicht passieren, dass experimentelle Filme nur mehr dort rezipiert werden können. Neben dem White Cube für bewegte Bilder muss es für den Avantgarde- und Experimentalfilm vor allem die große Leinwand im Kino geben! Neben allen anderen Varianten der Präsentation und Verbreitung von bewegten Bildern scheint mir das Kino immer noch einer der gewinnbringendsten Diskursorte zu sein. Das heißt für junge Filmschaffende: ins Kino gehen und seine eigenen Werke im Kino zeigen. Das frontale Erlebnis mit den laufenden Bildern im Lichtspiel und die Konfrontation mit physisch anwesendem Publikum sind unumgängliche Erfahrungen.

 

Ein Rezept, wie man sich am besten im Bereich des Films etablieren kann, kenne ich nicht. Vor allem im Bereich des Avantgarde- und Experimentalfilms wäre es auch vermessen, ein solches proklamieren zu wollen. Um in der Filmbranche Fuß fassen zu können, gibt es keine bestimmte Gangart. Im ‘Ministry of Silly Walks’ darf man jede Gangart zur Anmeldung vorlegen. Für meinen Bereich kann ich nur sagen, dass es essenziell ist, Film als ganz  persönliches Ausdrucksmedium abseits von Konventionen für sich nutzbar zu machen. Das ist schwer genug – Film bis ans Limit!

Kino-Tränen | Diagonale-Webnotiz 2/2012

http://www.diagonale.at/2012/fruhauf/

Kino-Tränen

Im Allgemeinen wird das Anfertigen von Filmaufnahmen als „Shooting“ bezeichnet. Diese Bezeichnung geht zurück auf die chronofotografische Flinte, eine Aufnahmetechnik des französischen Erfinders und Physiologen Étienne-Jules Marey, mit welcher er zu den Wegbereitern des Films zählt. Dass sich eine Handfeuerwaffe auch formal als probates Werkzeug eignet, macht Jean-Luc Godard deutlich, wenn er in Anlehnung an D. W. Griffith sagt: „All you need for a film is a girl and a gun.“ Eine im Film zugefügte Verletzung ist für jeden Menschen ganz selbstverständlich nicht real. Schmerzhafte Erfahrungen sind inszeniert. Eh klar. Geht einem das Geschehen dennoch (zu) nah, versucht man sich gewöhnlich mit dem Gedanken, es sei ja nur ein Film, zu beruhigen. Trotz der Bewusstheit über das Unwirkliche auf der Leinwand fließen beim Publikum im Kinosaal immer wieder echte Tränen. „Im Kino gewesen. Geweint.“ (Franz Kafka)

Diese Zeilen habe ich zu einer meiner filmischen Skizzen vor einiger Zeit notiert und mich jetzt wieder daran erinnert, da ich in der Diagonale-Webnotiz 1/2012 von Cornelia Schwaighofer das Zitat von einem Filmvorführer gelesen habe: „Ich weine auch nur im Kino – wie das echte Männer halt so tun“.

Meine Augen sind gerötet und etwas verschwollen. Leider keine Kino-Tränen, nur eine banale Erkältung. Ich kann dem Zustand, mit laufender Nase vor einem Laptop zu sitzen, wirklich keinen Genuss abringen. Aber mein kleines Leiden macht die Frage, was es mit dem Reiz am genussvollen Leiden im Kino auf sich haben könnte, dringlicher. Was machte es aus, dass selbst echte Männer wie Filmvorführer dort Rührung zeigen? Bei mir macht sich der Verdacht breit, dass unsere Empfindungswelt an das Kino angepasst wurde. Aus dem Leiden wird eine konsumierbare Empfindung. Bei einem Film mitleiden zu können bedeutet, sich einem Gefühl anzunähern, das man eigentlich nicht ertragen will. Die Filmindustrie macht sich das zunutze: Zum Zweck der Konsumsteigerung normt sie uns emotional.

Wenn das Mainstream-Kino ein geschlossenes Leidenschaftsregelwerk etabliert hat, scheint es unabdingbar, dass ein Kino existiert, welches den emotionalen Ereignishorizont weiter fasst, den Akt der Identifizierung übersteigt und das imaginäre Innere des filmischen Raums sprengt. Diese Filme sind auf der zweidimensionalen Leinwand eine Art Hologramm eines vieldimensionalen wahrnehmungsphysiologischen und psychischen Treibens. Im Bezug auf den Konstruktivismus hat es Marshall McLuhan als „eine Wiederentdeckung des ganzen menschlichen Sensoriums“ formuliert. Diese scheint mir auch im Bezug auf das Kino immer wieder notwendig zu sein.

Film bietet die Möglichkeit, Befindlichkeit in unendlich vielen Varianten zu vergegenwärtigen. Im Leiden verlagert sich das Sein in die reine Gegenwart. Der Zeit gesteht man, durch das Verblassen jener Gegenwart, eine Heilung aller Wunden zu. Im Bewusstsein der Veränderung eines Zustandes im Voranschreiten der Zeit – womöglich zum Besseren – offenbart sich ein Erlösungsgedanke. Und wenn es nur die Möglichkeit ist, wieder frei durch die Nase zu atmen. Als Filmemacher benutze ich die Zeit, um eine Form für das Licht auf der Leinwand zu finden. Vielleicht ist diese filmische Zeit in all ihren Facetten einfach so etwas wie ein wenig Balsam auf unsere kleinen mentalen Wunden. „Hustensaft für die Seele.“ (Anna Katharina Laggner)

 


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