Der Titel dieser Miniatur kündigt eine Reihe von Spannungen an, für die Siegfried A. Fruhauf eine neue Form gefunden hat: Still Dissolution vermisst das Verhältnis zwischen Fotografie und Film, Stillstand und Bewegung, Gestaltung und Auflösung, Jetzt und Dann, materieller Wirklichkeit und Illusion, und zwar im Wechselspiel von analogen und digitalen Bildtechniken.
Vier Farbabzüge vom Genre Urlaubsfoto werden einzeln abgefilmt und nebeneinander in einem Splitscreen angereiht. Sind die digitalen, hochauflösenden Filmaufnahmen innerhalb einer leicht vibrierenden, zunehmend pulsierenden Flickerkomposition einem ständigen Fort-Da-Spiel ausgesetzt, so unterläuft dieses wiederum die jeweils in den einzelnen Feldern dargestellte Bildbewegung, nämlich das langsame Verglühen des fotografischen, vorfilmischen Trägermatrials. Im Schmelzprozess entstehen eigentümlich lebend anmutende Blasen, Flecken und Schlieren, deren wechselnde Formen und Farben die fotografierten Meereslandschaften nach und nach auflösen. Am Ende erscheinen bewegte Diagramme aus einem medizinischen Bildgebungsverfahren, das den Herzschlag in vivo zeigt.
Damit vermisst der Film die künstlerische Position Hollis Framptons neu, der als "Metahistoriker" den Film dem Zeitalter der Maschinen zuordnete und die Geburt der amerikanischen Avantgarde mit dessen Obsoletwerden im Zeitalter des Radars assoziierte. Mehr als vierzig Jahre nach Framptons Nostalgia stellt Fruhauf an verbrennenden Fotografien die kinematographische Struktur zeitlicher Abläufe erneut in Frage. Ihm geht es aber weniger darum, das Verhältnis von Wort und Bild zu befragen, mit dem im Kino Gegenwart und Vergangenheit bestimmt werden: in Still Dissolution ist einzig Surren und rhythmisches Brummen zu hören. Der medienarchäologische Akzent liegt nun auf dem Brennen der Archive, deren technische Basis bekanntlich das Leben der Bilder wesentlich bestimmt.
(Christa Blümlinger)


Director´s Statement
Medien wie Fotografie – und später auch der Film – sind mitunter aus dem Wunsch hervorgegangen, einmalige Ereignisse festhalten und bewahren zu können. Der Grundgedanke mag seine Richtigkeit haben, aber die Erfahrung zeigt, Medien sind nur bedingt tauglich, den Moment des unendlich kleinen Punktes der Gegenwart festzuhalten. Vielmehr gelingt es ihnen, uns deutlich zu machen, dass es sich um eine Vergangenheit handelt. Sie stellen die Vergänglichkeit aus. Still Dissolution ist im Kreisen um diese Gedanken entstanden und hat über zehn Jahre gebraucht, um nun als kinematographische Miniatur eine Form für die Leinwand zu finden. Die fotografischen Erinnerungen werden mit der Hitze einer Gaslampe aufgetaut. Dieser Reanimationsversuch deformiert die Bilder und erzeugt geradezu organische Formen. Schließlich fängt das Bild Feuer und verglüht. Das prähistorische Licht der Flamme wandelt sich in ein Licht technischer Natur.
(Siegfried A. Fruhauf)


Welch virtuoser Horrorthriller! Fruhauf, Meister der Bilderauflösung, beginnt mit einem ruhigen Vierer-Splitscreen, auf und zwischen und hinter dessen idyllischer Meeresuferlandschaft sich die Ereignisse in exponentieller Manier zu überschlagen scheinen, bevor das Ganze schließlich auf schwarze und weiße Flimmerkader heruntergedimmt wird. Eine kongenial unheimlich vertonte Eiterbeule von einem Film, gegen den jede Seucheninfektions-Mittelmäßigkeit aus Hollywood mindestens 88 Minuten zu lang wirkt.
(Viennale Katalog 2013)

The title of this miniature heralds a series of tensions for which Siegfried A. Fruhauf has found a new form: Still Dissolution measures the relationship between photography and film, standstill and motion, formation and dissolution, now and then, and material reality and illusion, and does so in an interplay of analogue and digital visual technologies.
Four color prints from the holiday photo genre are filmed individually and arranged alongside one another on a split screen. Although the digital, high-resolution film recordings are subjected to a steady game of here again—gone again within a gently vibrating, increasingly pulsating, flickering composition, at the same time, this undermines the pictorial movement depicted in each of the individual fields, namely, the slow fading away of the photographic, pre-cinematic carrying material. In the melting process, unique, seemingly dynamic bubbles, blotches, and streaks emerge whose changing forms and colors gradually dissolve the photographed seaside landscapes. Appearing in the end are moving diagrams from a medical imaging process that shows the heartbeat in vivo.
The film thereby re-surveys the artistic position of Hollis Frampton, who as “meta-historian,” assigned film to the machine era and associated the American avant-garde with its becoming obsolete in the radar era. More than forty years after Frampton’s Nostalgia, Fruhauf once again uses burning photographs to question the cinematographic structure of temporal processes. But he is less concerned with examining the relationship of word and image with which present and past are defined in film: all that can be heard in Still Dissolution is humming and rhythmic droning. The media archeological accent is now on the burning of the archive whose technical basis, as is known, determines the life of the images.
(Christa Blümlinger)
Translation: Lisa Rosenblatt


Director´s Statement
Media such as film emerged from the desire to hold unique events. Basically, this idea may be right, but experience shows that media are limited in their suitability for capturing the moment of the infinitely small point of the present. Rather media make clear that there is a past. Film shows this transience. In the digital era the problem of the preservation of our audio-visual heritage suggests these considerations.
Still Dissolution originates from thoughts of transience and took over ten years to find its form for the screen as a cinematographic miniature.
(Siegfried A. Fruhauf)


Überreste der verbrannten Fotografien

Überreste STILL DISSOLUTION Ausstellungsansicht (Foto: Philippe Gerlach)